Eseltrekking – Entschleunigung, Begegnungen & Resilienz

Unabhängig in der Natur unterwegs sein. Ein Traum für Viele! Mit zwei Eseln, bepackt mit allem Nötigen durch die Landschaften ziehen, um das Eseltrekking zu testen, war das Ziel. Ein lahmender Esel lehrte mich zu entschleunigen und handlungsfähig zu bleiben, auch wenn eine Situation unlösbar erscheint. Selbst im Nirgendwo gibt es ein Esel-Taxi. Ein Dank an die Menschen und Freunde, die mir spontan geholfen haben!

In jedem Ende wohnt ein Anfang!

Mein Abschied aus Thüringen und Oberfranken im September 2022 fiel mir nicht leicht. Herzliche Verabschiedungs-Zeremonien mit den Kollegen der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal und die Auflösung meiner kleinen kuscheligen Wohnung in Lichtenberg machten mir das Herz schwer. Aber es galt nun mal die Zelte abzubrechen, um neue in Nordrhein-Westfalen wieder errichten zu können.

„Vier kleine Eseltrekker fühlten sich sehr frei,

der eine wollte Eselfleisch, da war‘n es nur noch drei!“

Vier sollten wir sein. Ein Packesel für meine Sachen, ein weiterer für die Eselsachen, ein Hund, der die Esel hütet, und ich. So die Theorie!

Auf den Hund musste ich schweren Herzens bereits ab April verzichten, da er seinen Auftrag nicht verstanden hatte. Anstelle zu hüten hatte er sich im Übereifer zum Attackieren einer der Esel entschieden.

Travel – der Kernige – und Around –  der Profi – waren also meine Begleiter. 

Travel wurde ein Jahr zuvor kastriert. Deshalb kann ich nicht eindeutig sagen, ob aus jugendlichem Überschwang oder aus männlichem (Rest-)Stolz er immer mal wieder wissen wollte, wer denn der Chef von uns beiden ist. „Ist die tägliche Hufpflege vielleicht schon vorzeitig beendet, wenn ich weglaufe  – zur Not auch auf drei Beinen?“, solche Fragen beantwortete ich ihm konsequent. Bei der Frage, wann denn die Mittagspause zu Ende und weiterzulaufen sei, hätte ich allerdings die Unterstützung eines Hütehundes benötigt, um sie genauso konsequent beantworten zu können.

Around ist ein sehr sanftmütiger Esel, der souverän alle Hindernisse genommen hat – auch diejenigen, die typischerweise von Eseln als solche empfunden werden. Die sprichwörtlichen „Eselsbrücken“ waren für ihn ebenso wenig ein Problem, wie Pfützen („Hilfe, es könnte ein Krokodil darin lauern“), Kanaldeckel  oder Straßenmarkierungen („Eine Schlange?“). Around will einfach nur gefallen und viel geschmust werden.

Lastenverteilung

Travel als der Kräftigere und Jüngere sollte maximal 40 kg schleppen müssen. Er war mit der Grundausrüstung bepackt. Dazu zählten die Sachen für das Camping, wie Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kocher und Klamotten. Around musste maximal 30 kg tragen. In seinen Köfferchen befanden sich Wasser, Proviant und das Zubehör für den mobilen Elektrozaun als Auflast des Packsattels.

Ich selbst wollte meinen Rücken schonen und lediglich diejenigen Gegenstände mit mir führen, die ich jederzeit griffbereit haben wollte.

Was Travel von dieser Lastenverteilung hielt, zeigte er mir prompt nach den ersten vier Kilometern. Auf einem grasbewachsenen Pfad legte er sich mitsamt dem Gepäck auf die Wiese und fraß, während ich notgedrungen das Gepäck abnahm.

Die Tragetaschen wogen jeweils 14 Kilogramm, die Auflast bestehend aus Zelt, einem Tarp als Regenschutz und meiner Ukulele wogen nicht mehr als fünf Kilogramm zuzüglich der sechs für den Packsattel sowie das mit einem Kilogramm veranschlagte Sattelzubehör (Decke und Geschirr) waren die geplanten 40 Kilogramm voll ausgeschöpft – aber der Esel eben auch erschöpft. Eine Kontrolle des Packsattelgewichtes ergab, dass er nicht wie vom Hersteller angegeben sechs, sondern neun Kilogramm wog. Also der Esel eindeutig zu viel zu schleppen hatte.  Eine Gewichtskorrektur musste dringend vorgenommen werden und zwar für beide Esel, denn die Packsattelkonstruktion war bei ihnen die selbe!

Was benötigen wir unterwegs wirklich? Welche Sachen sind Luxus? 

Als erstes habe ich natürlich meine Ukulele geopfert. Das Instrument litt ohnehin wegen der hohen Schwankungen in der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit. Meine Liege, die ich mitgenommen hatte, um meine Rückenschmerzen zu minimieren, musste ebenfalls dran glauben. OK, ich habe es mit der Reduktion nicht soweit getrieben wie mancher Hardcore-Läufer, der seine Zahnbürste ihres Stieles beraubt, aber meine „Toilettentasche“ konnte trotzdem gewichtsreduziert werden. Warum Pflegeöl mitnehmen, wenn man Olivenöl dabei hat? Der Proviant bis zur nächsten Auffüllgelegenheit wurde genauer geplant etc., bis wir das ursprünglich anvisierte Gewicht erreicht hatten. Nein, ich muss mich korrigieren: bis wir die Gewichte entsprechend unserer individuellen Leistungsfähigkeiten neu verteilt hatten. Am Ende trugen Travel 38, Around 0 und ich 20 Kilogramm. So hatte ich mir die Lastenverteilung definitiv nicht vorgestellt …

Begegnungen

Vor der Tour fragte mich eine Freundin eher schüchtern, ob sie ein Stück meines Weges mitgehen dürfe. Sie hatte aufgrund der Wohnortnähe Interesse mich am Anfang zu begleiten, wollte sich aber nicht  schon am ersten Tag aufdrängeln. Den solle ich zunächst alleine genießen. 

Aus dieser romantischen Vorstellung wurde ich auf dem erstbesten Wiesenweg gerissen. Die Esel hatten beschlossen zu grasen. Einen Esel konnte ich immerhin davon überzeugen, dass wir jetzt bitteschön weiterlaufen sollten. Aber sobald ich den zweiten ebenfalls überzeugen wollte, hatte sich der erste wieder dem Gras zugewendet. Leider kam meine Überzeugungskraft gegen 300 bis 400 Kilogramm Lebendgewicht nicht an. Nach einem telefonischen Hilferuf kam mir Caroline zu Hilfe. Sie hat sich definitiv das Eseltreiber-Diplom verdient!

Nach der schon erwähnten Sitzblockade bei  Kilometer Vier hatte ich mich von meinem Tagesziel, dem alten Steinbruch oberhalb von Schlegel, bereits verabschiedet und statt dessen unser Lager bei einer gemütlichen Sitzgruppe direkt neben dem Rennsteig aufgeschlagen. Das Wasser für die Esel brachte mir Carolines Mann vorbei,  selbst  zu dem für einen ganz anderen Zweck vorbereiteten Picknick hatten mich die beiden eingeladen. So schmeckte das Trekkingleben am ersten Tag unerwartet gut.

 Zu meinem Glück hatte ich mich der Begleitung von Menschen geöffnet, die das Wandern mit Eseln sehr spannend fanden und mir ihr Interesse im Vorfeld bekundet hatten. Durch die zusätzlichen Führungskräfte kamen wir gut voran.

Vielleicht aber auch „zu gut“? Kurz vor unserem Tagesziel wollte Around nicht mehr weiterlaufen. Umdisponieren, was das Tagesziel anbelangte, hatte ich bereits am Vortag gelernt und unser Nachtlager dieses Mal spontan  am alten Grenzweg errichtet. Andrea half an diesem Abend das Wasser für die Esel heranzuschaffen, und für den Luxus zu sorgen.

Anke hatte ganz besonders Geschmack an dieser alternativen Art der Fortbewegung gefunden und begleitete mich weiter. Von ihr als erfahrene Bergsteigerin und Pfadfinderin konnte ich einiges dazu lernen. Doch am meisten in mir festgebrannt, hat sich ihre Erkenntnis über das Eseltrekking: „Nicht der Weg ist das Ziel, sondern die Lösungen auf diesem Weg.“

Durch die positiven Erfahrungen mit meinen Begleitern ermutigt, versuchte ich weitere Freunde und Bekannte für mein Projekt zu begeistern. Wenn ich jedoch alleine unterwegs war und die Esel sich wieder an einer Wiese festgegrast hatten, sprach ich Passanten an, die in meine Richtung gingen, ob sie nicht Lust hätten einen der Esel ein Stück zu führen. Nach erstem Zögern fanden die meisten Gefallen daran – und wie mir dann eingestanden wurde, hatten sich fast alle schon gedanklich mit dem Thema Eselwanderung auseinander gesetzt. Es waren aber ausnahmslos Frauen, die die Eselführung übernahmen.

 Besonders gefreut hat mich die Begleitung durch meine langjährige Freundin Ruth an einem Sonntag. Zum Abschied sangen wir gemeinsam noch ein kirchliches Lied. „Das habe ich dem lieben Gott versprochen, wenn ich schon den Gottesdienst schwänze.“ Ich war sehr gerührt als wir uns verabschiedeten.

Resilienz

Das schöne an solch einer Tour ist, dass man sich sehr schnell auf das Wesentliche besinnt: Trinken, Schlafen, Essen. 

Es ist nicht möglich ausreichend Wasser für zwei Esel mit sich zu führen, die je nach Wetterlage 10 bis 30 Liter pro Tag benötigen. Hinzu kommen noch zwei bis vier Liter für den menschlichen Gebrauch möglichst in Trinkwasserqualität. Dankbar, dass die sommerliche Trockenperiode vorbei war, konnten wir unseren Bedarf teilweise auf natürliche Art decken. Aus den Quellen trat (wieder) Wasser aus und an ein paar Tagen hatten wir Pfützen zum eseligen Gebrauch. Darüber hinaus stellten die mit ausreichend Bodenfeuchtigkeit einhergehenden Pilze ein beliebtes Nahrungsergänzungsmittel für uns Menschen dar.

Gab es in der Nähe des Nachtlagers kein Wasservorkommen, musste es aufwändig organisiert werden. Zusätzlich zu den oben bereits erwähnten Wasserbeschaffern der ersten beiden Tage, waren entweder Gerrit oder Ralf diejenigen, die sowohl mit dem Wasser- als auch dem Gepäcktransport halfen, wenn sie sich in der Nähe befanden. Nun haben Anke und ich ganz besonders fürsorgliche Ehemänner, jeder Wunsch wurde von unseren Lippen bzw. den Handys abgelesen. Ob Gemüse, Käse, Brot, Insektenspray oder Gaskartuschen für den Kocher, sie wurden nicht müde das Benötigte Herbeizuschaffen.

Wie man mitten im Wald Heu für die Esel organisiert, hatte ich bereits im Mai lernen dürfen. Es fanden sich immer wieder neue Lösungen, nachdem mir die Scheu davor, um Hilfe zu bitten, genommen war.

Am einfachsten war die Frage des Übernachtungsortes, den entweder die Esel oder manchmal auch ich bestimmten. Entweder es interessierte niemanden, wo wir übernachteten, oder die Esel öffneten die Herzen  der Leute und uns damit die Türen.  

Lediglich an einem Ort waren wir nicht willkommen. Das war am Rennsteighaus in Neuhof am Rennsteig, das etwas abseits des Rennsteiges auf einem Sportplatz(?) liegt. Laut meinem Wanderführer konnte man hier die Toiletten und Duschen benutzen – allerdings ausschließlich während der Öffnungszeiten von 10:00 bis 17:00 Uhr. Welcher Wanderer duscht zu solchen Zeiten, vor allem, wenn er dort kein Nachtquartier findet? Nun stand ich da am Rennsteighaus mit meinen Eselchen. Es dauerte auch nicht lange bis der Platzwart und der Vorstand des Sportvereins angebraust kamen, um mich und meine grau zottelige Bagage zu verjagen. Nach dem die erste Zornesröte aus ihren Gesichtern verschwunden war, konnten sie mir leider auch keine andere Lösung für einen lahmen Esel benennen. Also gaben sie zähneknirschend meiner Bitte nach und ich durfte eine Koppel im Wald neben dem Spielfeld aufbauen.

„Nicht der Weg ist das Ziel,

sondern die Lösungen auf dem Weg.“

Der Weg war ganz einfach vom Anfang des Rennsteigs bis zu dessen Ende, und nach Hörschel kurz links abgebogen auf den Elisabeth-Pfad, der über Marburg bis nach Köln verläuft. Um nach Hause zu kommen müssten wir kurz vor Köln in Overath links abbiegen. 

Der Rennsteig bildete das erste Drittel, das zweite würde in Marburg erreicht sein. Insgesamt rund 500 Kilometer, die ich in zwei Monaten zurücklegen wollte, mit einer mittleren Tagesleistung von 15 km pro Tag und einem Ruhetag pro Woche. Der aufmerksame Leser hat bestimmt schon den Gebrauch des Konjunktivs bemerkt, denn es kam ganz anders als geplant.

Entschleunigung

Bereits am zweiten Tag zeigte Around Ermüdungserscheinungen. Hauptsächlich wenn er auf Schotterwegen laufen muss, verlangsamte er sein Tempo und blieb immer wieder stehen. Obwohl ich ihn im Laufe der ersten Tage immer stärker von seinem Tragegewicht entlastete und die Tagesstrecken verkürzte, brach er nach einer Woche zusammen. Wir hatten in dieser Woche gerade mal 40 km unseres Weges zurückgelegt. 

Er knickte mit den Hinterbeinen weg und konnte sich nur noch taumelnd auf seinen Eselbeinchen halten. Mir war völlig klar, dass er an diesem Tag keinen Schritt mehr weiter laufen könnte. Zum Glück gab es am Naturparkinformationszentrum in Spechtsbrunn einen Imbiss mit einer sehr hilfsbereiten Wirtin. Dort durfte ich die Esel einkoppeln, um mir dann in Ruhe die weiteren Schritte zu überlegen. Nachdem zwei Gäste unsere Notlage verstanden hatten, fingen diese an wie wild zu telefonieren. Von einem der beiden bekam ich dann das Handy in die Hand gedrückt mit den Worten „Das ist die Steffi, die hat einen Pferdestall.“. Steffi konnte meine Grauen leider nicht aufnehmen, kannte aber jemanden, der sie zu unserem anvisierten Etappenziel und Treffpunkt mit meinem Mann transportieren könnte. Er würde auch gleich Heu mitbringen. Engel trifft man wirklich in den ungewöhnlichsten Situationen. Wir erreichten also an diesem Tag unser Etappenziel mit dem Eseltaxi – einem Viehtransporter.

Am nächsten Tag stellte der Tierarzt dann fest,  dass Around sehr wahrscheinlich eine „Bänder-/Sehnensache“ hätte, Schmerzmittel bräuchte und im Schongang weiterlaufen könne. Ich war sehr erleichtert, denn ein von mir befürchteter akuter Hufrehe-Schub hätte das sofortige Aus bedeutet. Nach einem Ruhetag ging es also weiter – wir hatten sogar für den nächsten Tag ein Gepäck-Shuttle. In Neuhaus am Rennsteig legten wir wegen des gesundheitlichen Zustandes von Around und einer längeren Schlechtwetter-Periode eine mehrtägige Ruhephase ein. Die Esel durften ein Partyzelt als Unterstand nutzen und ich eine Ferienwohnung mit allen Annehmlichkeiten der Zivilisation, z.B. eine Dusche mit warmem Wasser.

Mit viel Improvisation und nur sehr langsam schafften wir es noch bis zum Mittelpunkt des Rennsteigs. Dort habe ich nach drei Wochen und 85 km die Tour abgebrochen.